Okt 28, 2022

Wirklich eine Gabel des Königs?

Aufklärung einer Familienlegende.

Adina Eckart, damals wissenschaftliche Volontärin am Museum, veröffentlichte am 9. August 2019 auf diesem Blog ihren Beitrag “Die Gabel des Königs?“. Darin stellt sie zum ersten Mal dieses interessante Objekt aus der Museumssammlung mit seiner möglichen Verbindung zu König Friedrich II. von Preußen vor. Thomas Appel kann in seinem aktuellen Beitrag die meisten damals noch offenen Fragen klären – mit durchaus überraschenden Ergebnissen!

Betrachtet man sich die Gabel unter stilistischen Gesichtspunkten, ist sie aufgrund des gravierten Bandelwerks zeitlich in die Régencezeit zwischen 1715 und spätestens 1730 einzuordnen. Die Ornamente und das Besitzermonogramm sind ungewöhnlicherweise auf der Unterseite des Löffelstiels angebracht, was mit der Tafeleindeckung des 18. Jahrhunderts zu begründen ist, als das Besteck im Gegensatz zu heutigen Gewohnheiten mit der Rückseite nach oben aufgelegt wurde. Zwischen das Bandelwerk-Ornament sind die Initialen R F / W gesetzt.

Auf der Oberseite des Stiels sind sowohl das Meisterzeichen (MZ) „GR“ im abgerundeten Rechteck und das Beschauzeichen (BZ), zwei gekreuzte Schlüssel im Hochoval, eingeschlagen. Im BZ ist am oberen Scheitelpunkt des Ovals noch eine „12“ erkennbar, am unteren der leicht verschlagene Großbuchstabe „L“. Die Stempel geben Auskunft über den Silberschmied und den Ort der Herstellung. Die „12“ im BZ gibt den Silberfeingehalt mit 12 Lot an (750er Silber), während das „L“ einen Hinweis auf den Herstellungsort liefert. Es handelt sich um das damals zum Kurfürstentum Sachsen gehörige Lauban in der Oberlausitz, etwa 26 Kilometer östlich von Görlitz (heute Lubań im polnischen Niederschlesien). Der Silberschmied lässt sich aufgrund der Angaben in der Literatur als Gottfried Rottmann (nachweisbar 1701-1750) identifizieren. Da das Laubaner BZ mit der Lötigkeitsziffer „12“ seit etwa 1722 verwendet wurde, ist die Herstellung der Gabel zeitlich um 1725 anzusetzen. Das wären die objektiven Fakten.

Kann nun aufgrund der aufgezeigten Kriterien die Gabel aus dem Besitz Friedrichs II. stammen? Um es gleich vorwegzunehmen: die Frage lässt sich mit einem klaren „nein“ beantworten. Wenden wir unser Augenmerk zunächst der Ornamentik zu, die recht einfach, etwas unsauber, um nicht zu sagen ein wenig unbeholfen und künstlerisch nicht gerade aufwendig ausgeführt wurde. Das hätte niemals den hohen Ansprüchen eines Hofes genügt. Dazu sind weder Wappen noch Krone vorhanden, die den hochadeligen Besitzer ausgewiesen hätten. Die Initialen entsprechen entgegen der Familienüberlieferung auch nicht den Initialen Friedrichs II., die die Form eines ligierten „FR“ (Friedericus Rex) hätten haben müssen, das aber auch erst seit 1740 nach seiner Thronbesteigung. Vielmehr deutet die einfache Ausführung der Buchstaben auf eine Herkunft aus dem bürgerlichen Milieu. Zudem wäre höfisches Silber niemals 12-lötig gewesen, sondern 14-lötig (875er Silber), wenn nicht gar 15-lötig (937,5er Silber), also mit einem wesentlich höheren Silberanteil. Das hatte den einfachen Grund, dass es wegen des geringeren Kupferanteils der Legierung nicht so stark oxidierte und weniger geputzt werden musste, aber eben auch kostbarer und damit um einiges teurer war. Schließlich passt die Régence-Ornamen­tik zeitlich nicht zu den Lebensdaten des Preußenkönigs, der erst 1712 geboren wurde und erst seit 1736 in Rheinsberg über eine eigene Hofhaltung verfügte. Da war der strenge aber noble Régencestil bereits passé und das lebhafte und verspielte Rokoko, dem Friedrich zeitlebens anhing, groß in Mode. Zum Schluss stellt sich noch die Frage wie der König überhaupt in den Besitz eines Besteckteils aus dem kleinen sächsischen Lauban gekommen sein soll.

Der Familienüberlieferung zufolge soll Friedrich II. während des Siebenjährigen Krieges einen Tag nach der berühmten für ihn siegreichen Schlacht bei Leuthen am 5.12.1757 im knapp sieben Kilometer entfernten Pfarrhaus von Deutsch-Lissa (heute Wrocław-Leśnica) nahe Breslau eingekehrt sein, um dort bei dem Pfarrer Carl Wilhelm Nürmberger zu nächtigen. Als Erinnerung hätte der König dem Pfarrer die besagte Gabel überlassen. Das ist gänzlich auszuschließen! Denn die Pfarrei von Lissa war seit 1649 nicht mehr besetzt und wurde erst 1878 wieder neu eröffnet. Nürmberger lebte zu diesem Zeitpunkt auch in Breslau, ihm war überhaupt noch keine eigene Pfarrei übertragen worden, das geschah erst 1758.

Da Legenden häufig einen wahren Kern haben, lohnt es sich, die Person des Pfarrers Nürmberger etwas mehr zu beleuchten, um Aufschluss über den Wahrheitsgehalt der Familienüberlieferung zu erhalten. Nürmberger wurde 1727 in Breslau als Sohn eines Bürgers und Schneiders geboren und starb 1798 als Pfarrer zu Hermannsdorf (heute Jerzmanowo) bei Breslau. 1748 ging er zum Studium nach Halle, von wo er 1750 nach Breslau zurückkehrte und zunächst, nicht unüblich für Theologen, als Hauslehrer arbeitete. Während des Siebenjährigen Krieges waren 1756 die preußischen Feldregimenter mit ihren Predigern nach Böhmen marschiert, so dass die in Breslau guarnisonirende[n] Battaillons keine Prediger mehr hatten. Um den Garnison-Gottesdienst aufrecht zu erhalten, wurde Nürmberger mit der Aufgabe an der seit 1741 als Garnisonkirche genutzten St. Barbara-Kirche (heute Kathedrale der Geburt der seligen Jungfrau Maria) betraut. 1758 wurde er in Breslau ordiniert, wo er alle Schrecken des Krieges miterleben musste. Im Mai d. J. wurde er dann als Pfarrer im kleinen Hermannsdorf unweit Breslaus eingesetzt. Und nun kommt der interessante Teil seines Lebenslaufs, den Nürmberger mit eigenen Worten schilderte: es heißt nämlich, dass er nach der für Preußen siegreich verlaufenen Schlacht bei dem etwa 60 Kilometer westlich von Hermannsdorf entfernten Liegnitz am 15. August 1760 die besondere Gnade hatte, Ihro Maj.(estät) Unsern Großen und Geliebten König Friedrich II. nebst der hohen Suite, vierzehn Tage lang in seinem Haus zu sehen. Einige Tage später hielt Nürmberger einen Dankgottesdienst in der Hermannsdorfer Kirche ab, an der neben der Gemeinde auch eine Menge der fürnehmsten Königlichen Officier teilnahmen. 1764 verheiratete er sich mit der Tochter eines Gutsbesitzers aus einem Nachbarort und wurde Vater von elf Kindern.

Das beschriebene Ereignis muss den Kern der Familienüberlieferung gebildet haben. Sicherlich wurden der König und sein Gefolge während der zwei Wochen in Hermannsdorf auch verköstigt. Ob Nürmberger deswegen die Silbergabel vom König als Andenken oder zum Dank erhalten hat, wird wohl nie mehr zu klären sein. Da die Laubaner Gabel nicht aus dem Besitz Friedrichs, vielmehr aus dem bürgerlichen Umfeld stammte, ist vorstellbar, dass sie vielleicht Eigentum Nürmbergers war, der sie seinem hohen Gast zur Verfügung gestellt hat. Doch muss das Spekulation bleiben, da auch nicht zu ermitteln ist, wie sie in seinen Besitz gekommen sein könnte. Mehr Licht in das Dunkel um ihren ursprünglichen Besitzer könnten vielleicht die Initialen „R F / W“ bringen, doch lassen sie sich nicht auflösen. Jedenfalls wurde der Gabel in der Familie als besonderes Andenken an den Aufenthalt des Königs eine hohe Wertschätzung entgegengebracht. Sie wurde daher auch nicht wie so häufig in Notzeiten eingeschmolzen, sondern über Generationen bis heute bewahrt. Abgesehen davon ist die gut erhaltene Gabel ein ziemlich seltenes Beispiel für provinzielles Silber aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, da Gabeln weitaus seltener auf unsere Zeit gekommen sind als etwa Löffel.

 

Literatur:

Ehrhardt, Siegismund Justus: Presbyterologie des evangelischen Schlesiens, Teil I, Liegnitz 1780, S. 602-604.

Hinze, Erwin: Schlesische Goldschmiede, Osnabrück 1979, Repr. von 1912-1916, S. 131/132.

Neß, Dietmar: Schlesisches Pfarrerbuch, 1. Bd., Regierungsbezirk Breslau, Leipzig [2014], S. 278.

 

Über Thomas Appel

Dr. Thomas Appel ist Kunsthistoriker