Die neue geschichtliche Abteilung des Städtischen Museums, Foto um 1937
Jan 10, 2020

Von der Altertums-
sammlung zur „Volksbildungs-
stätte“

Moriz Heyne, Professor für Germanistik an der Georg-August-Universität, gründete 1889 die Göttinger Altertumssammlung ganz im Stile seiner Zeit. Es war eine Sammelstelle für Göttinger „Altertümer“, d. h. dingliche Zeugnisse zur Geschichte der Stadt und ihres Umlandes.
Museumsleiter Otto Fahlbusch (1888-1971), Foto um 1950

Museumsleiter Otto Fahlbusch (1888-1971), Foto um 1950

Innerhalb weniger Jahre explodierte die Zahl der Objekte förmlich, so dass die Sammlung zweimal umziehen musste, bevor sie im „Hardenberger Hof“ am Ritterplan eine dauerhafte Unterkunft fand. Ziel Heynes war es, möglichst alle Objekte den Besuchern zu präsentieren, wobei er Wert auf eine nachvollziehbare inhaltliche Gliederung legte. In dem von ihm im Juni 1900 publizierten Führer „Kurze Wegleitung durch die Städtische Altertums-Sammlung“ werden Abteilungen wie „Strafaltertümer“, „Gildensaal“, „Universität & Gymnasium“ und „Apotheke“ aufgeführt. Sonderausstellungen waren nicht vorgesehen.

Unter seinem Schüler und Nachfolger als Museumsleiter Bruno Crome blieb dieser Zustand grundsätzlich unverändert – abgesehen davon, dass die Sammlung weiterhin kontinuierlich anwuchs. Nach Cromes Tod 1933 setzte allerdings eine rasante Entwicklung ein, an deren Ende nach wenigen Jahren ein gemäß den damaligen museumstheoretischen Grundsätzen professionelles Haus stand.

Verbunden ist diese Entwicklung vor allem mit dem Namen von Otto Fahlbusch, der innerhalb weniger Jahre vor allem gemäß den Vorstellungen seines Lehrers Karl Herrmann Jacob-Friesen aus der traditionellen Altertumssammlung ein modernes Museum formte. So führte er die Trennung von Schausammlung (Dauerausstellung) und Studiensammlung (Depotsammlung) ein, wobei er die Dauerausstellung chronologisch aufbaute. Fahlbusch war auch der erste, der ab 1937 im Museum Sonderausstellungen zeigte. Parallel dazu verdrängte seit den 1930er Jahren schrittweise die neue Bezeichnung Museum den veralteten Namen Altertumssammlung.

Es ist kein Zufall, dass der Beginn dieser Entwicklung mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten zusammenfällt. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen trieben die Nationalsozialisten auch im kulturellen Leben eine gewissermaßen technische Modernisierung voran, um die Kultur und ihre Einrichtungen für ihre ideologischen Ziele nutzen zu können. In Göttingen zeigt sich das u. a. daran, dass 1933/34 innerhalb kürzester Zeit die drei städtischen Kultureinrichtungen Museum, Stadtarchiv und Stadtbibliothek erstmals hauptamtliche, fachlich ausgewiesene Leitungen erhielten.

Ziel der Nationalsozialisten war es, die Museen zu „Volksbildungsstätten“ zu entwickeln. Damit griffen sie einen bereits im frühen 20. Jahrhundert von Museumstheoretikern geprägten Begriff auf. Die Menschen sollten in ihrem Sinne ideologisch indoktriniert werden. Vorgabe war daher, dass die stadtgeschichtlichen Dauerausstellungen bis in die unmittelbare Gegenwart geführt werden sollten, um mit dem Machtantritt des „Führers“ Adolf Hitler ihren Höhepunkt und Abschluss zu finden.

Die Tätigkeit von Otto Fahlbusch steht exemplarisch für diese Entwicklung, wobei er es allerdings geschickt vermied, das Göttinger Haus zu einem wirklichen NS-Propagandamuseum umzuformen. Beispielhaft für seine Linie können zum einen die Themen seiner Sonderausstellungen stehen: „Tiestätten in Südhannover“ (1937), „Bäuerliche Trachten und Hausgeräte“ (1938), „Göttinger Buchdruckereien und Verleger bis in den Anfang des 14. Jahrhunderts“ (1940), „Altes Brauchtum des Handwerks“ (1943) und „Älteres Spielzeug“ (1944).

Die neue geschichtliche Abteilung des Städtischen Museums, Foto um 1937

Die neue geschichtliche Abteilung des Städtischen Museums, Foto um 1937

Alle diese Themen bewegen sich im scheinbar unpolitischen Rahmen der Volkskunde und Lokalgeschichte, besitzen zugleich aber eine deutliche Nähe zur Volkstumsideologie der Nationalsozialisten, ohne sich dem Regime zu sehr an den Hals zu werfen. Zum anderen war seine stadtgeschichtliche Dauerausstellung zwar aus der Sicht der Nationalsozialisten unverdächtig, verzichtete aber auf eine Darstellung der Zeit nach 1933.

Nach 1945 konnte Fahlbusch seine Arbeit im Museum ohne Bruch fortsetzen. Seine Dauerausstellung wurde ohne Veränderungen bis weit in die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik gezeigt. Auch das Themenspektrum seiner Sonderausstellungen änderte sich nicht: Von „Mündener Fayence und Fürstenberger Porzellan“ (1947) über „Heimische Töpferei, eine jahrtausendealte Kunst“ (1948) bis zu „Vom Rokoko bis zum Biedermeier“ (1950) und „Ehrenraum des Handwerks“ (1953). Weder bemühte sich das Museum unter Otto Fahlbusch um eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten, noch forderte die Gesellschaft der jungen Bundesrepublik dies von ihrem Museum und seinem Leiter ein.

Über Ernst Böhme

Historiker