Ein Tora-Vorhang (hebr. Parochet) hängt in Synagogen des aschkenasischen Kulturbereichs vor dem Schrein, in dem die Torarolle(n) aufbewahrt werden. Die Vorhänge sind meist aufwändig gearbeitet und verweisen durch ihre Inschriften auf ihre jeweiligen Stifter.
So auch im Falle des Tora-Vorhangs der jüdischen Gemeinde Göttingens, der Ende des 19. Jahrhunderts in die Sammlung des Städtischen Museum kam und – neben zwei hebräischen Bibelfragmenten aus dem 14./15. Jahrhundert und einigen Grabsteinen aus dem 18. Jahrhundert – zu den ältesten erhaltenen Beispielen materieller jüdischer Kultur in Göttingen gehört.
Der prachtvolle, zwei Meter hohe Vorhang besteht aus Seidendamast mit eingewebten Pflanzen- und Blumenmotiven und aufgesetzten Verzierungen aus Gold- und Silberlahn. Die Inschrift im oberen Bereich des roten Stoffrechtecks verweist auf die Stifter des Vorhangs und das Datum der Stiftung.
Sie lautet: „Dies ist die Spende des Herrn Sender, Sohn des Vorstehers und Führers der Gemeinde Herr Jeremia aus Ettenhausen, und seiner Ehefrau Edel, Tochter des ehrenwerten Lehrers Joel Kirchhain, er möge erleben gute Tage, [gegeben im] Jahr 523 (1763)“. Sender bzw. Alexander Jeremias wurde 1728 in Bovenden geboren und kam 1753 nach Göttingen, wo er zu den führenden Köpfen der jüdischen Gemeinde gehörte.
Dieser Vorhang hing vor dem Toraschrein der dritten in Göttingen nachgewiesenen Synagoge.
Belege für eine erste Synagoge in Göttingen liegen bereits aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert vor. Eine „synagoga Judeorum“ wird für das Jahr 1334 in einer Liste aller abgabepflichtigen Hausbesitzer der Stadt aufgeführt. Diese älteste Göttinger Synagoge stand in der heutigen Jüdenstraße, etwa im Bereich der heutigen Hausnummer 8/9. Die Synagoge und die Konzentration jüdischer Familien in ihrer Umgebung dürfen ausschlaggebend für den noch heute verwendeten Straßennamen gewesen sein.
30 Jahre später findet die Synagoge in der Jüdenstraße keine Erwähnung mehr in den städtischen Registern. Vermutlich fiel die jüdische Gemeinde Göttingens den Judenpogromen zum Opfer, die im 14. Jahrhundert auf die große Pest von 1348-1350 folgten und weite Teile der jüdischen Gemeinden Deutschlands vernichteten.
Eine zweite Synagoge oder „Judenschule“ ist für das Jahr 1458 in der Speckstraße nachgewiesen. Auch in diesem Fall endete das jüdische Leben in Göttingen und somit die Nutzung der Synagoge durch die Vertreibung der jüdischen Einwohner*innen aus Göttingen.
Eine neue Synagoge lässt sich erst für das Jahr 1729 nachweisen. Es handelte sich im ein ca. 59qm² großes Gebäude im hinteren Bereich der Buchstraße 530 (heute Prinzenstraße 17). Über die innere Einrichtung und Ausstattung der Synagoge in der Buchstraße ist wenig bekannt. Bei dem Tora-Vorhang von 1763 handelt es sich um das einzige materielle Überbleibsel dieser Zeit.

Grundriss der Synagoge in der Buchstraße, aus: Peter Wilhelm: Die jüdische Gemeinde in der Stadt Göttingen, Göttingen 1973.
Die „Hinterhaussynagoge“ wurde bis 1870 als Gebetshaus verwendet. Aufgrund der Zunahme der jüdischen Bevölkerung im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde 1869 mit dem Bau einer neuen, deutlich größeren Synagoge zwischen den Masch Straßen begonnen. Die vierte Göttinger Synagoge, die nach einer baulichen Erweiterung 1895 Platz für 450 Gläubige bot, diente der jüdischen Gemeinde Göttingens über 70 Jahre lang als Gebetshaus. Ob der Tora-Vorhang aus der Buchstraß in dem neuen Gebäude weiterhin verwendet wurde, ist unbekannt.
Die neue Synagoge zwischen den Masch Straßen wurde in der sogenannten Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 durch die SS zerstört. Von der Inneneinrichtung blieb nichts erhalten.