Apr 27, 2022

Mit Akribie

Ein Vogel im Grafikmagazin

Bei der Durchsicht unserer noch zu erschließenden grafischen Blätter fiel uns eine Tierdarstellung besonders auf.

Bei der Bestimmung des Vogels sind wir eher vorsichtig, da auch der Gesamtzugang des/der Künstlers/Künstlerin zu seinen Motiven und Absichten berücksichtigt werden muss. Wahrscheinlich hat in diesem Fall ein Zaunkönig (Troglodytes troglodytes) Pate gestanden. Einige Details des Vogels, wie der Überaugenreif fehlen zwar, oder sind, wie der gegabelte Schwanz künstlerisch frei gestaltet. Hingegen sind andere Details, wie der Gefiederfärbung und der Musterung der äußeren Handschwingen und die helle Zeichnung auf den Deckfedern, die langen kräftigen Tarsen und der angehobener Schwanz verblüffend genau.

Deckfarbenmalerei, 10,8 cm x 5,8 cm, Inv.-Nr. 2022/5

 

Äußerst gekonnt, natürlich und lebendig wirkt der auf einem Ast sitzende Vogel. Sein Gefieder, Augen, Schnabel sowie die Krallen sind filigran und nuanciert dargestellt. Der Ast hingegen tritt zugunsten der Blickführung auf das Hauptmotiv sowohl in seiner Ausführung als auch in seiner Farbgebung zurück. Die Frage, auf wen diese sehr schöne Vogeldarstellung ist, wurde immer spannender. Es stellte sich heraus, dass es ein Werk von Barbara Regina Dietzsch (1706-1783) ist. Die Künstlerin stammte aus der Nürnberger Künstlerdynastie Dietzsch und war die älteste Tochter des Malers, Zeichners und Radierers Johann Israel Dietzsch (1681-1755).

Barbara Regina Dietzsch wurde, wie ihre fünf Geschwister, in der Werkstatt ihres Vaters ausgebildet. Die von ihr gewählten Sujets waren u.a. Vögel, Insekten und Landschaften. Diese Motive erfreuten sich im 18. Jahrhundert sehr großer Beliebtheit. Dank ihrer Begabung waren ihre akribischen Arbeiten international gefragt und wurden bspw. in die Niederlande oder nach England exportiert.

 

Über Simone Hübner

Simone Hübner ist Kuratorin im Städtischen Museum Göttingen.