In diesen Ereignissen bündeln sich unterschiedliche Entwicklungen, die sich z. T. schon länger angebahnt haben: Lokale, nationale und internationale Fragen bewegen die Menschen ebenso wie Themen aus Politik, Gesellschaft, Stadtplanung und Kultur. Erstmals in der noch jungen Bundesrepublik wird der öffentliche Raum, die Straße, zum Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Die Folgen haben Stadt und Land tiefgreifend verändert. Vieles, was heute als selbstverständlich gilt, wurzelt in der damaligen Zeit.
Am 3.6.1964 wird Göttingen durch das Göttingen-Gesetz zur Großstadt. Eine umfangreiche Bautätigkeit beginnt, die Stadt wächst wie nie zuvor. Die im gleichen Jahr eingeweihte Stadthalle ist Ausdruck der neuen Großstadt-Herrlichkeit. Auch die Georgia Augusta wird endgültig zur Massenuniversität. Die Universität expandiert: das Geisteswissenschaftliche Zentrum und der Campus Nord entstehen.
Die Studenten fordern Mitbestimmung und inneruniversitäre Reformen. Bildungsnotstand und die Notstandsgesetze werden auf Demonstrationen, sit-ins, teach-ins und go-ins diskutiert. Der Tod des Studenten Benno Ohnsorg am 2.6.1967 und das Attentat auf Rudi Dutschke am 11.4.1968 treiben auch in Göttingen die Studenten auf die Straßen.
1968 erreichen die Proteste in Göttingen einen ersten Höhepunkt. Eine Göttinger Besonderheit ist der gemeinsame Widerstand von Bürgern und Studenten gegen den Abriss des Reitstalls. Überwiegend verlaufen die Demonstrationen und Proteste in Göttingen gewaltfrei. In späteren Jahren entsteht dafür der Begriff „Göttinger Linie“. 1969, beim Besuch von Bundespräsident Heinrich Lübke, kommt es vor der Stadthalle erstmals zu Gewaltausbrüchen.
Schnell erfasst die Bewegung die Göttinger Schulen. Studenten und Schüler stellen gemeinsam gesellschaftliche Normen und Konventionen in Frage. Sie experimentieren mit neuen Lebensmodellen, suchen nach sexueller Befreiung und verlangen Aufklärung über die nationalsozialistische Vergangenheit