Das Städtische Museum Göttingen stellt Ihnen hier ein Online Angebot bereit. Alle die, die letzte Sonderausstellung „Unter Verdacht – NS-Provenienzforschung im Städtischen Museum Göttingen“ vielleicht nicht sehen konnten oder ihre Eindrücke nochmal vertiefen möchten, wird hier ein kleiner Rundgang ermöglicht.
Die Ausstellung fand vom 8. September bis zum 8. Dezember 2019 statt und zeigte erste Ergebnisse unseres Provenienzforschungsprojektes, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird. Eine Besonderheit der Ausstellung war, dass zahlreiche Alltagsgegenstände präsentiert wurden und keine speziellen Objektgattungen wie Kunstobjekte im Fokus standen.
Die Ausstellung war wie eine Forschungsarbeit aufgebaut und gliederte sich gemäß den räumlichen Begebenheiten im Städtischen Museum in drei Teile.
Der erste Raum, der Veranstaltungssaal, bildete die Einleitung und gab eine thematische Einführung in die Methoden der Provenienzforschung. Was ist Provenienzforschung und wie funktioniert sie überhaupt. Zudem wurde auf die Provenienzforschung am Städtischen Museum eingegangen. Das Städtische Museum ist das erste kommunale, stadtgeschichtliche Museum in Niedersachsen, das Provenienzforschung betrieb. Bereits 2008 konnten 125 Kulturgüter als NS-verfolgungsbedingt entzogen identifiziert werden. Es handelte sich um Möbel und Kunstgegenstände der jüdischen Göttinger Familien Hahn, Kahn, Frank und Hirsch.
Ein besonderes Augenmerk lag in diesem Raum auf der Geschichte und dem Schicksal der Familie Hahn, die verfolgt, deportiert und ermordet wurde. 2014 wurden Objekte aus dem Besitz der Familie Hahn an deren Erben zurückgegeben. Die Nachkommen überließen dem Museum alle Objekte als Dauerleihgabe.
Ausgestellt war ein kleines Reise-Necessaire aus dem Besitz der Familie Hahn und eines unserer Eingangsbücher, die seit der Gründung des Museums 1889 nahezu lückenlos geführt wurden und für die Provenienzforschung von unschätzbarem Informationswert sind.
Im zweiten Raum, dem Foyer, wurde die Museumsgeschichte in der NS-Zeit dargestellt. Die städtische Verwaltung strebte 1933 an, die bisher ehrenamtlich geführte „Alterthumssammlung“ zu einem professionellen, modernen Museum zu entwickeln. Die Museumsleitung wurde dafür festangestellt und ein Budget für Ankäufe und Wechselausstellungen eingerichtet. Die Ausstellung wurde in eine Schau- und eine Studiensammlung unterteilt. In der Schausammlung wurden weniger Objekte als vorher präsentiert, die Studiensammlung ermöglichte ein Erforschen der Bestände hinter den Kulissen. Eine besondere Aufgabe in dieser Zeit war die Vorbereitung der Sonderausstellung zum 200-jährigen Universitätsjubiläum 1937. Für dieses kaufte das Museum zahlreiche studentische Objekte ein, die den Studentenverbindungen meist nach ihrer Auflösung günstig abgekauft wurden.
Im dritten Raum, dem Hauptraum der Sonderausstellung, wurde eine Depotsituation inszeniert und insgesamt 33 Objekte präsentiert, die aus unterschiedlichen Gründen unter Verdacht stehen, nicht rechtmäßig in der Sammlung des Städtischen Museums zu sein. Über die Verdachtsfälle wurde in den einzelnen Depotregalen informiert. Dabei wurden Erwerbungen unter anderem von Händlern, privaten Einliefern, städtischen Institutionen, den Freimaurern und Studentenverbindungen sowie Objekte aus Auktionen und Finanzamtsversteigerungen thematisiert.
So lieferten in der Zeit zwischen 1933 und 1945 etwa ein Viertel der Objekte Händler in das Städtische Museum ein. Größtenteils waren dies regionale Trödel- und Altwarenhändler, die ein umfangreiches Warensortiment vertrieben. Sie hatten meist kein festgelegtes Angebot und bezogen ihre Objekte durch den Ankauf und bei Haushaltsauflösungen. Da von diesen Händlern meist Geschäftsunterlagen fehlen, kann heute nicht nachvollzogen werden, woher die Objekte ursprünglich stammten.
Ausgestellt wurden u.a. Objekte des Göttinger Händlers Wilhelm Hillebrecht (1880-1957). Die Objekte haben meist keine Besitzvermerke. Hillebrecht gab bei seinem Entnazifizierungsverfahren an, dass er in der NS-Zeit bei öffentlichen Auktionen Hausrat auch aus jüdischem Vorbesitz eingekauft hat.
Auch Objekte aus sogenannten Finanzamtsversteigerungen befinden sich in der Sammlung. Die Finanzämter spielten während der NS-Zeit bei der systematischen Plünderung der jüdischen Bevölkerung eine zentrale Rolle. Sie prüften den zurückgelassenen jüdischen Besitz auf seinen Wert und verkauften ihn. Der Erlös floss dem Deutschen Reich zu.
Der ausgestellte Stuhl und Ankleidespiegel stammen aus der Finanzamtsversteigerung vom 2. Februar 1939, in der der Besitz der Familie des jüdischen Antiquitätenhändlers Karl Kahn versteigert wurde. Ins Städtische Museum gelangten die Objekte über den Hannoveraner Händler Georg Walter, der die Möbel nur wenige Tage nach der Versteigerung dem Museum anbot.
Über ein Drittel der eingelieferten Objekte stammt aus Privatbesitz. Die Herkunft dieser Objekte ist zum größten Teil unbedenklich, da es sich um Familienbesitz oder eigene Herstellung handelt. Bei wenigen Ausnahmen ist jedoch nicht nachweisbar, woher das Objekt stammt.
So stehen die Objekte des Schornsteinfegermeister Johannes Düker (1890-1964) unter Verdacht, NS-verfolgungsbedingt entzogen zu sein. Düker zog mit seiner Familie 1940 nach Göttingen in das Wohnhaus der zuvor vertriebenen jüdischen Familie Meyerstein, dessen Besitztümer im Haus zurückgeblieben waren.
Eine „Sondergruppe“ unter den Verfolgten des NS-Regimes bildeten die Freimaurerloge und die studentischen Verbindungen. Sie fielen nicht der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie zum Opfer, aber erleiden Repressalien und wurden verboten.
Die Göttinger Freimaurerloge „Augusta zum goldenen Zirkel“ wurde 1935 aufgelöst. Der Großteil des Besitzes wurde beschlagnahmt. Einige wenige Gegenstände wie der ausgestellte Spieltisch gelangten durch ehemalige Logenbrüder in die Museumssammlung.