„Hermann Hirsch (1861-1934) – ein jüdischer Maler in Göttingen“. Unter diesem Titel zeigte das Städtische Museum Göttingen vom August 2010 bis zum Januar 2011 eine Ausstellung zu dem Menschen und Künstler Hermann Hirsch. Das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gibt Anlass, noch einmal ihn zu erinnern.
Hirsch wurde am 4. Juni 1861 in Rheydt, heute ein Stadtteil von Mönchengladbach, als jüngster Sohn jüdischer Eltern geboren. Da sich früh seine künstlerischen Neigungen zeigten, begann er eine Lehre als Holzzeichner und –stecher bei einer führenden Firma für Holzdruck im Deutschen Reich. Aber dieses Handwerk stellte Hirsch nicht zufrieden, er wollte mehr, er wollte Künstler werden.
Wohl mit finanzieller Unterstützung seiner Familie immatrikulierte er sich am 26. April 1881 an der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, der renommiertesten Einrichtung dieser Art im deutschen Kaiserreich. Nach dem Abschluss des Studiums 1886 beteiligte er sich über mehrere Jahre an den Akademischen Kunstausstellungen, jedoch ohne bleibenden künstlerischen und finanziellen Erfolg, so dass er immer wieder als in seinem erlernten Beruf als Holzzeichner arbeiten musste.
Trotzdem gelang es ihm, sich den Traum eines jeden deutschen Malers des 19. Jahrhunderts zu erfüllen, und bereiste von 1893 an für mehrerer Jahre Italien und wohl auch Griechenland. Das kleinformatige, qualitätsvolle Ölgemälde mit dem Titel “Capri“ aus dem Jahr 1901 ist ein Beispiel für die dabei entstandenen Werke und seine künstlerische Entwicklung.
Seit Beginn des Ersten Weltkriegs war er wieder in Deutschland und ließ sich – vermittelt durch familiäre Beziehungen – 1917 in dem kleinen Dorf Bremke bei Göttingen nieder. In den folgenden fünfzehn Jahren entfaltete Hermann Hirsch eine große künstlerische Produktivität, wobei er sich auf Landschaften und Porträts spezialisierte. Da er seinen Stil den Wünschen seiner Kundschaft aus dem Göttinger Stadt- und Universitätsbürgertum anpasste und gekonnt zwischen konventionell-akademisch (die Porträts) und gemäßigt-impressionistisch (die meisten Landschaften) wechselte, war er auch durchaus wirtschaftlich erfolgreich. In den Zwanzigerjahren war der Jude Hermann Hirsch der Maler des Göttinger Bürgertums.
Es waren dies dieselben Kreise, in denen seit Jahren ein sich ständig verschärfender Antisemitismus grassierte. Von einer echten Integration des jüdischen Künstlers konnte also keine Rede sein – und das sollte sich nach dem Machtantritt Adolf Hitlers 1933 mit brutaler Deutlichkeit zeigen. Der eben noch gefeierte Hermann Hirsch war jetzt in Bremke so hasserfüllten antisemitischen Verfolgungen ausgesetzt, dass er noch im gleichen Jahr, inzwischen 72 Jahre alt, das Dorf verließ und sich in Göttingen niederließ.
Vielleicht hatte er gehofft, in der größeren Stadt untertauchen zu können. Ein Irrtum, wie sich schnell herausstellte, hatte sich doch Göttingen früh einen Ruf als Hochburg antisemitischer Exzesse erworben. Wohl unter dem Druck dieser Verfolgungen starb Hermann Hirsch überraschend am 1. März 1934. Es spricht viel dafür, dass es Selbsttötung war.
Die Göttinger Bürger, in deren Wohnungen seine zahlreichen Werke hingen und heute noch hängen, haben den Künstler Hermann Hirsch in der NS-Zeit schnell vergessen und sich auch nach 1945 nicht mehr an ihn erinnert. Es sollte über fünfzig Jahre dauern, bis durch die Ausstellung im Städtischen Museum sein Leben und Werk wieder ins kollektive Gedächtnis gehoben wurde. Am 27. Mai 2016 wurde zudem für Hermann Hirsch an seinem letzten Wohnort in Göttingen in der Weender Landstraße 12 ein Stolperstein verlegt.
Ernst Böhme