Jul 31, 2020

Damals wie heute…

Mal ein Ortswechsel, mal ans Meer oder in die Berge…

Den Wunsch nach Veränderung kennen wir alle und in den Zeiten von Corona ist er noch mehr in den Fokus gerückt. Eine wissenschaftliche Anfrage an das Städtische Museum Göttingen hat dazu geführt, dass in der grafischen Sammlung die Schublade ‚Topographie B‘ mal wieder geöffnet wurde. Dabei kam das Stammbuchblatt „Hotel on the Brocken Mountains.“ hervor. Es ist vor gut 200 Jahren entstanden. Der Brocken war zu dieser Zeit ein beliebtes Ausflugsziel, im Jahrzehnt 1809-1818 sollen dort über 1000 Besucher gewesen sein, während es im darauffolgenden knappe 2000 Personen gewesen sein sollen. Bereits im 18. Jahrhundert wirkten der Harz und der Brocken literarisch inspirierend. So verfasste Johann Wolfgang von Goethe mehrere Harzgedichte und bestieg den Brocken erstmals 1777.

Stammbuchblatt, Heinrich Christoph Grape (1861-1834) zugeordnet Kupferstich, um 1820, bez. u. r.: Göttingen bei Wiederhold Inv.Nr. 2020/41

Unser Blatt zeigt das einstöckige Gasthaus mit Aussichtsturm, das Graf Christian Friedrich von Wernigerode (1746-1824) erbauen ließ. Im Jahr 1800 wurde es eröffnet. Rechts und links des Hauptgebäudes befindet sich je ein Wirtschaftsgebäude.

Auf dem Bergplateau, auf dem zahlreiche Granitfelsen liegen, befinden sich mehrere Personen. Diese bilden jeweils Dreiergruppen: vorne rechts am Bildrand ist eine rastende Gruppe von drei Herren zu sehen, auf dem Weg (auch Knochenbrecherweg genannt) gehen drei Wanderer mit Stöcken, in kurzer Entfernung vor der Gaststätte steht ein Mann im Gespräch mit zwei Frauen zusammen und auf dem Turm befinden drei weitere Personen.

Die zeitgenössische Kleidung der Herren ist unterschiedlich, u.a. tragen sie lange Hosen, Gehrock und Zylinder, Mantel mit Pelzkragen und Barett oder Mantel mit Schirmmütze. Vier von ihnen halten einen Gehstock in ihrer Hand und tragen auf dem Rücken einen Rucksack. Die beiden weiblichen Figuren tragen bis zum Fußknöchel reichende Kleider.

Der Personenanzahl, somit der Zahl Drei, darf eine symbolische Bedeutung zugeordnet werden. Die Zahl Drei steht u.a. für die göttliche Dreieinigkeit und bildet damit einen Gegensatz zu den Mythen, die sich um den Brocken als Hexenberg ranken. Zur Entstehungszeit des Blattes war das Biedermeier eine der aufkommenden Strömungen. Die napoleonische Ära war beendet und das Biedermeier reagiert mit dem Rückzug in Häuslichkeit und dem Streben nach gesicherten sozialen Verhältnisse sowie die Konzentration auf die direkte Umgebung mit tiefer Naturverbundenheit. Für die Malerei und Grafik bedeutete dies, dass neben Portraits- und Genredarstellungen die Landschaftsdarstellung zu den dominierenden Sujets gehörte.

 

Simone Hübner M.A.

Über Simone Hübner

Simone Hübner ist Kuratorin im Städtischen Museum Göttingen.