Jul 7, 2014

ÜBERRASCHUNG BEI NEUINVENTARISIERUNG!

  Bei der Neuinventarisierung eines Gesangbuches entdeckte ich überraschenderweise diese zwei Faltbriefe. Der Typus des Faltbriefs repräsentiert eine Dokumentenform, die zwischen 1750 und 1850 modern war. Schnell stellten sich die Schriftstücke als Patenbriefe heraus. Der eine Brief zeigt im Hauptfeld die Anbetung des Christuskindes durch die Hirten, die inneren vier Dreiecke geben die Kardinaltugenden in […]

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Bei der Neuinventarisierung eines Gesangbuches entdeckte ich überraschenderweise diese zwei Faltbriefe. Der Typus des Faltbriefs repräsentiert eine Dokumentenform, die zwischen 1750 und 1850 modern war. Schnell stellten sich die Schriftstücke als Patenbriefe heraus. Der eine Brief zeigt im Hauptfeld die Anbetung des Christuskindes durch die Hirten, die inneren vier Dreiecke geben die Kardinaltugenden in einfach stilisierten Gartenlandschaften wider, die äußeren Dreiecke Petrus, Jacobus, Johannes und Christus. Der andere Brief zeigt im Hauptfeld eine Taufszene. Der Pfarrer hält den Täufling mit dem Gesicht in zeittypischer Weise nach unten über das Taufbecken, um das zwei Frauen und ein Mann in gutbürgerlicher Kleidung stehen. Über ihnen schwebt die Dreifaltigkeit auf einer blauen Wolke. Die inneren Dreiecke zeigen die Verkündigungsszene, Christi Geburt, Taufe und Auferstehung. In den äußeren sind die Evangelisten Matthäus, Marcus, Lucas und Johannes in spärlicher Landschaft gezeigt. Jeder Pate bescheinigt einem unbenannten Täufling die Taufe vom 2. Sept. 1796 in Rastenburg (Ostpreußen?) mit Unterschrift. Die Briefe weisen Reste eines gebrochenen Siegels auf. Solche Patenbriefe sind seit dem 17. Jahrhundert eher in evangelischen als in katholischen Regionen unterschiedlich stark verbreitet. Die Schriftstücke wurden als Vordrucke je nach Zeitgeschmack gestaltet: Sie enthielten Glückwünsche, waren (Geburts-)Urkunde und dienten der Erinnerung in der Familie. Oft verbargen sie auch den Patenpfennig als Symbol der Fürsorge des Paten bei frühzeitigem Tod der Eltern. Je nach Region und Brauch wurden die Patenbriefe am Tag der Taufe ausgehändigt und danach für das Kind im Haus verwahrt. Patenbriefe in einem Gesangsbuch zu finden, erscheint nicht völlig abwegig oder ungewöhnlich. Allerdings lässt sich nicht nachweisen, dass das Gesangbuch aus dem gleichen Besitz stammt. Wer diese Briefe in dem Buch verwahrt hat, muss ein Geheimnis bleiben. Der Bestand des Museums ist aber durch eine glückliche Entdeckung um zwei Objekte reicher…

(Bodo Kayser, ehrenamtlicher Mitarbeiter)

Über Bodo Kayser

Bodo Kayser ist ehrenamtlicher Mitarbeiter im Städtischen Museum Göttingen.