Sommer 2015: Auf der Internetseite des Städtischen Museums Göttingen entdecke ich den Steinzeitkoffer. Dieser enthält überwiegend Objekte aus der Jungsteinzeit, die an die Schulen in der Umgebung gegen einen Pfand ausgeliehen werden können. Die steinzeitlichen Objekte erzählen viel über sich selbst und über die Menschen, von denen sie einst angefertigt wurden. Aber um diese Geschichten erfahren zu können, muss man wissen, wie man diese Objekte liest.
Als Archäologin stelle ich bei meiner Arbeit folgende Fragen: Wie kann man aus den alten Gegenständen und Bodenbefunden die Urgeschichte der Menschen erforschen? Wie müssen wir bei der Ausgrabung vorgehen, um möglichst viele Informationen zu erhalten? Und wie können daraus Schlussfolgerungen auf die Kultur oder die Epoche gezogen werden, aus der diese Objekte her stammen? Diesen Fragen nachzugehen wäre doch bestimmt spannend für Schülerinnen und Schüler unterschiedlichsten Alters. Und da ich bereits in verschiedenen Museen in der Bildungsvermittlung gearbeitet hatte, biete ich dem Städtischen Museum Göttingen meine professionelle Unterstützung an und habe das Glück, freiberuflich den Steinzeitkoffer betreuen zu dürfen.
Die Göttinger Schulen werden über das Steinzeitprogramm informiert und ab der zweiten Septemberhälfte melden die ersten Lehrkräfte ihr Interesse. Meistens sind es die 5. Klassen der Gymnasien, weil für diese Stufe die Steinzeit auf dem Lehrplan steht. Aber auch viele Grundschulen und auch höhere Jahrgänge nehmen an dem Programm teil.
Also fahre ich mit dem Koffer und einigen von mir erstellten Materialien in die Schulen. Zu den Materialien gehören Schautafeln, einige Arbeitsblätter wie Fundzettel und Materialien für einen Workshop. Als weiteres Medium nutze ich die Schultafeln. Darauf zeichne ich zuerst einen Zeitstrahl, um den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie unvorstellbar lange die Menschen in steinzeitlichen Kulturen gelebt haben. Anhand der Schautafeln bekommen die Schülerinnen und Schüler zuerst einen Einblick in das Thema, bevor sie dann die erstaunlich alten Dinge in die Hand nehmen durften. Jeder Schüler und jede Schülerin sucht sich ein begehrtes Stück heraus und dokumentiert es mit Hilfe des Fundzettels. Anschließend können sie ihre handwerklichen Fähigkeiten erproben: wie man ein Brot mit Zutaten zubereitet, die den steinzeitlichen Menschen zur Verfügung standen, oder wie man Pfeile aus Holz und Gänsefedern baut. Der zeitliche Umfang der Gruppen variiert dabei. Manche haben nur eine Stunde in einer AG, andere einen ganzen Vormittag Zeit.
Die Arbeit mit und an den Schulen macht mir sehr viel Spaß. Die Lehrkräfte an den Göttinger Schulen sind sehr kooperativ und die Schülerinnen und Schüler stecken voller Elan und Wissbegierde. Ihre Stars heißen Lucy, Ötzi oder Obelix und dürfen auch auf dem Zeitstrahl nicht fehlen. Ihre Fundzettel füllen sie mit sorgfältiger Akribie aus, und sogar in den Pausen umschwirren sie den Steinzeitkoffer wie die Wespen das Marmeladenglas. Und in fast jeder Klasse befindet sich jemand, der sich in die Abenteuer eines Indiana Jones begeben will. Die kleinen Forscherinnen und Forscher entdecken einen Abdruck auf dem Steinbeil, der sich als Rest eines Birkenrindenpechs herausstellt. Damit wurde das Beil an einem Schaft geklebt. Sie scheuen nicht davor, den Mageninhalt prähistorischer Menschenfunde zu untersuchen, um herauszufinden, ob diese Vegetarier waren. Moment mal! Mageninhalt? Den können wir bei den Moorleichen untersuchen. Die sind aber erst 2 000 Jahre alt und damit wesentlich jünger als die steinzeitlichen Funde. Aus der Altsteinzeit haben wir ja nur die Knochen oder meistens sogar nur den Schädel eines prähistorischen Menschen. … Und sie erkennen, dass es schon in der Steinzeit unterschiedliche Kulturen gab. So bauten die Menschen im Norden Großsteingräber und fertigten trichterförmige Gefäße an. Während im Gebiet um den Harz herum die Leute mit kugeligen Amphoren Rinder in einige ihrer Gräber legten. All diese spannenden Dinge und noch vieles mehr können die Schülerinnen und Schüler in dem museumsdidaktischen Programm erfahren.
Aktuell gestalte ich den Inhalt des Steinzeitkoffers neu und erstelle einen Flyer, der mit einem Text und einigen Bildern Informationen zu dem Programm liefert und Neugierde wecken soll. Dies findet in enger Abstimmung mit dem Städtischen Museum Göttingen, insbesondere mit der Kuratorin Simone Hübner, sowie dankenswerterweise mit der Unterstützung von Betty Arndt, der Leiterin der Stadtarchäologie Göttingen, statt.
Mal sehen, wie oft es im nächsten Jahr in die Steinzeit geht….
(Astrid Otte, freie Mitarbeiterin)