Seit Anfang Januar 2014 bin ich als wissenschaftlicher Volontär am Städtischen Museum. Für mich ist die Museumsarbeit ziemlich neu. Darüber hinaus setzt sich das Museum ganz neu zusammen. Bei einem Besuch im letzten Jahr sah ich das historische Gebäude von der Rückseite: das Fachwerk war aufgebrochen, Balken wurden ausgetauscht. Tausende Museumsobjekte aus Dauerausstellung und Depot standen ebenfalls zum Aufbruch bereit: in ein neues, dauerhaftes Depot. Dieses „Museum im Aufbruch“ ist auch eine Chance, die Sammlung, Präsentation und das Museum neu zu konzipieren und Forschungen zu Teilbeständen anzustellen: Innehalten mitten im Aufbruch. Was wie ein Imitat fernöstlicher Weisheit klingt, ist eine gute Beschreibung der momentanen Museumsarbeit, wie sie sich mir darstellt. Welche Geschichte steht beispielsweise hinter der für ein nichtjüdisches Museum recht umfangreichen Sammlung jüdischer Kultgegenstände? Wie könnte ihre Sammlungsgeschichte die zukünftige Präsentation prägen? Heute stellen Museen nicht mehr nur Fragen an die Objekte, sondern auch an sich selbst als wissensvermittelnde Institution. Und dann wieder neue Aufbrüche im Innehalten: zum Beispiel dieser blog als virtuelle Tür zum Museum. Veranstaltungen, Objekte, Berichte, Gedanken können hier vorgestellt werden. Denn nicht nur am Bau passiert was, innen drin auch! Nach dem Abschluss meiner Promotion zu einem jüdischen Thema in Spanien wollte ich mich weiterhin mit dem Judentum beschäftigen – und in die Museumsarbeit einsteigen. Da war diese reiche und außergewöhnliche Sammlung jüdischer Kultgegenstände, eine der ältesten in einem nichtjüdischen deutschen Museum. Nachdem ich dem Leiter des Museums meine Ideen zu diesem Sammlungsbestand zugeschickt hatte, trafen wir uns zu einem Gespräch. Es wurde schnell deutlich, dass dies der Moment war, die Historie der Sammlung näher zu beleuchten. Über einen Werkauftrag war dies dann auch während des Sommers 2013 eine meiner Tätigkeiten. Ein Objekt kommt mir beim Schreiben über das Innehalten wieder besonders in den Sinn, nicht zuletzt wegen seiner früheren Funktion: eine Sabbathlampe aus Messing, auch Judenstern genannt. Sie besteht aus einer sternförmigen Schale mit sechs Schnäbeln, die am unteren Ende eines gedrehten Schafts eingehängt wurde. Die Schale wurde freitags mit Öl befüllt, in den Schnäbeln lagen Dochte, die kurz vor Beginn des Sabbat entzündet wurden. Fromme Juden halten sich an das Gebot, am Sabbath, oder Schabbes, wie es im mitteleuropäischen Judentum heißt, kein Feuer zu entzünden. Einmal angezündet, konnte die Lampe über den gesamten Abend ihr feierliches Licht verbreiten. Die Lampe hing an einer sogenannten Säge, die es ermöglichte, sie über die Woche unter die Decke zu ziehen, unter der sternförmigen Schale war ein Fangschälchen für tropfendes Öl angebracht. Der Moment des Innehaltens am Schabbes scheint besonders im Entzünden der Lichter auf. In dem jüdischen Sprichwort „Steigt die Sabbathlamp´ herab, wendet Not und Sorg´ sich ab“ wird dies besonders deutlich. Die Sabbathlampe war einer der wenigen jüdischen Kultgegenstände, die im Zuge der Objektauslagerung uninventarisiert aufgefunden wurde. Wie drei ganz ähnliche Exemplare der hiesigen Sammlung wird sie wahrscheinlich von einer jüdischen Familie aus Göttingen oder der nahen Umgebung dem Museum kurz nach seiner Gründung übergeben worden sein. Wie vergleichbare Objekte war sie vermutlich über Generationen im Familienbesitz gewesen. Die Abgabe eines solchen Objekts verweist besonders deutlich auf ein Selbstbild, in dem bürgerliche und jüdische Aspekte verschmelzen – sowohl auf Seiten der jüdischen Göttinger als auch des Museums. Hier war bereits in den Anfangszeiten um 1900 eine „Abteilung israelitischer Altertümer“ eingerichtet.
(Christian Riemenschneider, wissenschaftlicher Volontär)