Viele dürften das meinen, denn es werden immer weniger Postkarten verschickt. Dabei ist der Charme einer handgeschriebenen Karte kaum durch digitale Produkte der heutigen Zeit zu übertreffen. Grund genug, sich dieses leider aussterbende Medium und dessen Geschichte einmal genauer anzusehen.
Eine Fülle anschaulicher Objekte bietet die Postkartensammlung des Museums. Bei den meisten hier bewahrten Postkarten handelt es sich um kulturhistorische Dokumente, die uns sehr viel mehr verraten, als den liebsten Urlaubsort des Absenders. Besonders interessant sind die Postkarten um 1900, der Blütezeit dieses Mediums. Die ersten Postkarten, die sogenannten Correspondenzkarten, hatten eher wenig mit Urlaubsreisen zutun. Mangels Telefon oder Internet waren sie schlichtweg ein gern genutztes Kommunikationsmittel – eine Möglichkeit, Verabredungen zu treffen oder sich über die neusten Ereignisse auszutauschen. Diese zunächst bilderlosen kleinen Kärtchen wurden in den Gebieten des Deutschen Bundes 1870 eingeführt, um den Postbetrieb zu vereinfachen. Auf der Vorderseite stand lediglich die Adresse des Empfängers, während die Rückseite für kurze Mitteilungen frei war. Besonders während des deutsch/französischen Krieges 1870/71 war diese Art von Feldpost beliebt.
Immer öfter entstanden auch Zeichnungen auf den Postkarten und schließlich wurden bebilderte Postkarten mit Zeichnungen, Kupferstichen oder Fotografien bald serienmäßig gedruckt. Der Göttinger Theologie-Student Ludolf Parisius zeichnete die erste Landschafts-Ansichtskarte, deren Beliebtheit durch den zunehmenden Tourismus und die
Gründung des Weltpostvereins 1878 rasant stieg. Um 1900 besaß fast jeder gutbürgerliche Haushalt ein Postkartenalbum, in dem die Kärtchen aufbewahrt wurden. Die Postkarten zeigen typischerweise Sehenswürdigkeiten des Aufenthaltsortes des Absenders oder sind mit Darstellungen von Ereignissen die dort stattfinden, illustriert. Auch die Mitteilungen auf den Postkarten sind, wie die gewählten Motive, von großem kulturhistorischem Wert, da sich an ihnen ablesen lässt, was die Menschen ihrerzeit beschäftigte und wie sie ihre zwischenmenschlichen Beziehungen gestalteten.
Abb. 1: Postkarte „Grüße aus Göttingen“, 1889: Auf den ersten Bildpostkarten war wenig Platz für persönliche Mitteilungen, da die andere Seite der Adresse vorbehalten war. Die Verfasserin dieser Nachricht nutzt die vorhandene Fläche für ihre gereimte Botschaft maximal aus.
Abb. 2: Postkarten-Sammelalbum, 1911
Abb. 3., 4.: Häufig illustrieren Fotografien bedeutender (und manchmal auch skurriler) Ereignisse die Postkarten. Die 1905 verfasste Postkarte auf Abb. 3. ist mit einer Fotografie eines der ersten Autos in Göttingen illustriert. Es gehörte dem späteren Physiknobelpreisträger Walter Nernst, der auch selbst am Steuer sitzt. Auf der 1910 verfassten Postkarte in Abb. 4 wird über den unfreiwilligen Heißluftballonaufstieg des Gefreiten Storch berichtet, der in Göttingen vom Hochlasstau mitgerissen wurde, glücklicherweise aber wohlbehalten in Reyershausen landen konnte.
(Izabela Mihaljevic, wiss. Volontärin)