Vorhanden und greifbar sind aber die Eingangsbücher, die seit der Gründung des Museums geführt wurden. Zur Verfügung stehen neun abgeschlossene Bände und das aktuell geführte zehnte Eingangsbuch. Für die wissenschaftliche Dokumentation und die Inventarisierung beinhalten diese zentralen Informationen zur Identifizierung der Objekte. Darüber hinaus bilden sie eine einzigartige Forschungsquelle zur Sammlungsgeschichte und zur Museumsgeschichte. Der wollen wir uns nun über die Auswertung der Eingangsbücher nähern.
Die vergangenen 125 Jahre waren voll von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen, zwei Weltkriege und der Nationalsozialismus haben die deutsche Geschichte in erschreckender Weise geprägt. Spiegelt sich das auch in der Geschichte der Sammlung dieses Museums wider? Und wenn ja, wie? Fangen wir mit dem Geburtsjahr an. Was ist seit dem 1.10. im Gründungsjahr 1889 in das neue Museum gekommen. Mit der Gründung der Städtischen Alterthumsammlung 1889 ist von Seiten des Gründers und Initiators Moriz Heyne, Professor der Germanistik an der Georg August Universität Göttingen, ein Sammlungsauftrag verbunden. Für ihn ist es nicht nur die Aufgabe des Germanisten, die Sprache und deren geschichtliche Entwicklung zu erforschen. Er möchte das gesamte Geistesleben einer Nation und seiner Entwicklung innerhalb einer Region erfassen. Er schließt bereits 1888 in einem von ihm verfassten Memorandum zu einem Museumsneubau (Museumsneubau – ein altes Thema), ausdrücklich die Bereiche von Kunst und Gewerbe, Recht und Staat, Gemeindeverhältnisse, Glauben, Leben, Lebensart, Kunst, Kunsthandwerk mit ein. Gefördert vom Rat der Stadt Göttingen ist die Neugründung der Sammlung erfolgreich. Die ersten Objekte, die ins Eingangsbuch eingetragen werden können, sind vierzehn „Strafaltertümer“ – u. a. Fußfesseln, Halseisen und Handschellen aus dem ehemaligen Gefängnis im Rathaus – die der Magistrat an das Museum überweist.
Inventarnummer 1889/1, Fußblock, 14. Jahrhundert, aus dem Rathausgefängniß
Nachdem die Stadtobrigkeit so mit gutem Beispiel vorangegangen ist, zeigte sich auch die Bürgerschaft von der Idee begeistert, Schenkungen und Spenden erreichen das neue Museum. So finden sich neben vielen Privatspenden, auch eine große Anzahl von Übergaben aus der Handwerkerschaft, die sogenannten Gildealterthümer. Obwohl am 1. Oktober erst eröffnet, sind im Eingangsbuch zum Ende des Gründungsjahres 819 Objekte aufgelistet. Die Geber und Spender sind der Rat, Eichamt und Bauamt, Kirchengemeinden, Schützengesellschaften und Handwerkerschaft, Ratsapotheke und einzelne Vertreter der Göttinger Honoration. Dies lässt auf ein breites Bündnis für die Einrichtung dieser neugegründeten Institution schließen. Das Museum wird unterstützt. Museumswert ist alles, was mindestens hundert bis hundertfünfzig Jahre alt ist. Diesem nicht formulierten, aber im Eingangsbuch ablesbaren Auswahlkriterium hat das Städtische Museum heute seinen großen Bestand an Objekten aus dem 18. und 19. Jahrhundert zu verdanken. Wichtig sind vor allem die Umwälzungen des Industriezeitalters, die gesellschaftliche und politische Veränderungen nach sich ziehen, und in deren Folge sich Objekte aus ihrem Gebrauchszusammenhang lösen. Zugleich entwickelt sich das Bewusstsein dafür, dass aus dem ursprünglichen Sinnzusammenhang gelöst, diesen Objekten ein neuer Status zukommt. Sie sind nun Zeugnis und Objektivation gesellschaftlicher Veränderungen: Gildeladen und Truhen, Eichstempel für nicht mehr gebräuchliche Gewichten, nicht mehr genutzte Gefäße aus der Ratsapotheke, Tuchplomben und Harnische, das Museum als Hort für einstmals bedeutenden Dinge.
Das Objekt wird nicht als bloßer Gegenstand begriffen sondern als Verdichtung eines Verhältnisses zwischen Menschen. Es drückt menschliche Arbeitskraft ebenso aus wie soziale Verhältnisse. Schon das erste Jahr des Bestehens der Museumssammlung zeigt deutlich wie das Museum von der Gründung an seine Rolle als historisches Gedächtnis der Stadt einnimmt und als Wissensspeicher der Region fungiert.