Sep 1, 2017

Gehhilfe? – Von wegen!

Das Städtische Museum besitzt eine umfangreiche Sammlung von Spazierstöcken aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Wer bei diesem, zugegeben erst einmal wenig spannend anmutenden, Begriff „Spazierstock“ an ein medizinisches Hilfsgerät denkt, liegt in den meisten Fällen jedoch komplett daneben!

 

Bei näherem Hinsehen fällt zunächst auf, wie aufwändig viele Stöcke gestaltet sind. Der Einsatz von kostbaren Materialien wie Elfenbein, Perlmutt, Silber oder Horn ist keine Seltenheit, und spätestens der Blick ins Eingangsbuch offenbart, dass diese Objekte kaum ausschließlich als Gehhilfen dienten. Denn hier überwiegen Bezeichnungen wie „Kavalierstab“, „Schulzenstab“ oder „Schultheissenstock“. Es handelt sich also oft um Statussymbole. Sie verweisen auf den Beruf des Trägers oder seinen sozialen Rang.

Gehstöcke oder Spazierstöcke wurden, neben ihrem praktischen Nutzen, also der Bewältigung von schwierigem Gelände oder der Selbstverteidigung, bereits seit dem Altertum als Statussymbole und seit dem 16. Jahrhundert zunehmend auch als Modeaccessoires getragen. Im 19. Jahrhundert wurde der Spazierstock auch im Bürgertum für das stattliche Erscheinungsbild eines Herren unverzichtbar – und das unabhängig vom Alter des Trägers.

So befinden sich im Besitz des Städtischen Museums, neben einem Schulzenstab aus Bischhausen (1. Abb., 2.v.r.) und einem Schultheissenstock aus Wöllmarshausen (1. Abb., 1.v.r.), unter anderem der Kavalierstock eines Göttinger Studenten (1. Abb., 3.v.r.) und ein Bräutigamsstab aus Werxhausen (1. Abb., 3.v.l). Zu den eindrucksvollsten Exemplaren der Sammlung gehört ein Spazierstock aus dem Besitz der Familie von Hanstein, einem Adelsgeschlecht aus dem Eichsfeld (2. Abb., links). Dieser lackierte Holzstock mit Hornknopf und schimmernden Perlmutteinlagen wurde laut Eingangsbuch im 18. Jahrhundert hergestellt. Das Museum besitzt außerdem den Spazierstock des Göttinger Bürgermeisters Ferdinand Oesterley (1802-1858) (2. Abb., rechts), des älteren Bruders des Malers Carl Oesterley. Dieser Stock stellt ein besonders gutes Beispiel für die repräsentative Wirkung eines solchen Accessoires dar. Aus Rohr gefertigt und lackiert, wird er von einer antikisierenden  Elfenbeinbüste bekrönt. Um welche Persönlichkeit es sich dabei handelt, bleibt jedoch unklar.

 

 

 

Über Izabela Mihaljevic

Izabela Mihaljevic war Mitarbeiterin im Städtischen Museum Göttingen.